Reise zum Wald



Bemerkungen zu dem preisgekrönten Kurzfilm von Jörn Staeger, der uns binnen sieben Minuten in eine Art "Waldrausch" versetzt


»Fast meditativ gleitet die Kamera durch graphisch anmutende Grünflächen, Alleen und Monokulturen immer weiter raus aus der Stadt, bis sie sich nach und nach in den urwaldartigen Tiefen des Waldes verliert. Dazu kommt ein perfekt dosierter packender Sound, der die Zuschauer gemeinsam mit den tranceartigen Kamerafahrten in eine Art "Waldrausch" versetzt.«

Dieser Würdigung im Begleittext der Arte-Mediathek, die den Film befristet bereithält, muss eigentlich nichts hinzugefügt werden. Ebenso zu empfehlen wie der Film selbst ist auch ein dargebotenes Interview mit seinem Autor.

Der Film aus dem Jahr 2008 entfaltet nach kurzer Zeit des Zuschauens seine berauschende Wirkung. Wahrscheinlich trägt dazu besonders der raffinierte und rasante Bildschnitt bei. Mit jedem Schnitt werden wir von neuem beschleunigt mitgerissen und in die Folgeszene geschubst, quasi wehrlos wie eine Flipperkugel. Der Vergleich hinkt etwas, denn unserem Zickzacklauf ist eine klare Gesamtrichtung übergeordnet, die letzten Endes zum Ziel führt. Das Ziel ist der Wald in seiner Urform, sozusagen als idealisierter Gegenpol zum Startpunkt, der sterilen Stadt.

Das Frühjahrs-Erwachen eines großen Stadtbaums gab das Zeichen zum tiefen Durchatmen und zur Reise aufzubrechen. Die erste Etappe liegt dabei zwangsläufig noch in der Stadt selbst, und das Augenmerk richtet sich hier auf einsame Pflanzbäumchen in der kalten Tristesse. Sie zeigen sich in vielerlei Bedrängnis: dürstend, hängend, gekettet, gepfercht, gekreuzigt oder gestorben für Weihnachten.

So wie ihnen der Wald als Lebensort verwehrt ist, geht es uns selbst gemeinhin nicht anders, und im Film bauen wir uns kurzerhand ein Wunschmodell vom Wald in klein. Leicht benebelt durch den schnellen Schnitt, halten wir die darin befindliche Waldarbeiter-Szene tatsächlich beinahe für real. Erklingende Waldhörner und der Pfiff einer Kleindampflok verstärken die Illusion. Kurz darauf wird die Waldeisenbahn dann tatsächlich real, und falls der Film überhaupt irgendwelche winzigen Schönheitsmängel haben sollte, dann allenfalls dass die Lok Tender voraus fährt.   

Dann lichtet sich unser Nebelzustand etwas, und wir erkennen, dass der Wald nur eine Bildtapete war und also alles nur ein schöner Traum. Wir sind noch immer in der Stadt. Aber wir setzen die Reise fort, die uns nun allmählich wirklich langsam hinaus führt. Aber auch das bringt zunächst nur mäßig mehr Freiheit, denn noch immer müssen die Bäume militärisch stramm in Allee-Formationen stehen.

Allee in der Kasseler Karlsaue

Die rasanten Kamerafahrten führen unter anderem durch diese Allee in der Kasseler Karlsaue.


Wirklicher Kontakt mit dem Wald kommt erst nach weiteren Etappen zustande, als aus den Alleen allmählich Fichten-Reihen werden und wir uns in den typischen Monokulturen der Nadelforste wiederfinden. Wie unter Hypnose lassen wir uns widerspruchslos von der Kamera mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die spitzästigen Fichtenspaliere jagen, durch die wir uns ansonsten allenfalls nach dem Prinzip Drei-vor-und-zwei-zurück vorantasten würden.

Nach weiteren Etappen stoßen wir dann auf eine erste Wegmarke in Richtung "Wildnis". Wir stehen vor einem Stamm, der dicht von den Lianen des Geißblatts umrankt ist, so ähnlich wie hier unten gezeigt. Der Kamera-Fokus verharrt auf ihm für einen Augenblick. 

Von den Lianen des Wald-Geißblatts erkletterte Eiche im Reinhardswald

Von den Lianen des Wald-Geißblatts umrankte Eiche im Reinhardswald


Endlich erreicht die Reise den "Urwald", und einige markante Baumgestalten und andere Objekte kommen in den Fokus. An einem Totholz-Haufen versucht sich die Kamera diesmal mit der Verfolgung einer hartnäckigen Fliege und folgt dabei sogar deren wildesten Pirouetten. Als schließlich die Fliege im Loch der berühmten Kamineiche verschwindet, folgt ihr die verwegene Kamera selbst dahin hinterher... 


Die Kamineiche im Urwald Sababurg (Reinhardswald)

Die Kamineiche präsentiert ihren Fuß und ihr berühmtes Kaminloch...


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Die urigsten Waldszenen des Films stammen aus dem Reinhardswald. Der Film wurde darüber hinaus in verschiedenen Wäldern und in verschiedenen Städten aufgenommen, darunter Frankfurt am Main, Wiesbaden und Kassel.

Aus Kassel stammt unter anderem die Szene des Tankwagens, der auf dem Pfeil der Abbiegespur (Bild unten) steht, um die jungen Bäumchen auf dem Rasenstreifen zu bewässern. Im unten gezeigten Bild sind sie nun 15 Jahre älter. Im Film ist auch der vorderste Basaltstein zu sehen, hinter dem der städtische Bedienstete die Bewässerung überwacht. Die sichtbaren fünf Bäume mit beigestellten Basaltblöcken gehören zum Kunstwerk »7000 Eichen«, das sich über die ganze Stadt erstreckt und das der Düsseldorfer Künstler Joseph Beuys 1982 für die internationale Kunstschau Documenta7 entworfen hatte (mehr dazu im Internet). Es symbolisiert den Sinn von Nachhaltigkeit und hat bis heute Bestand.


Fünf Exemplare des Kasseler Kunstwerks

  

Ein weiterer Kasseler Film-Aufnahmeort für






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