Erweitertes Vorwort

Die Zeiten, als man auf den Feldwegen oft von vielen bunten Schmetterlingen begleitet wurde oder als abends die Straßenlaternen von ganzen Insekten-Wolken umschwirrt waren oder man nach kurzer Autobahnfahrt dichten Brei von der Windschutzscheibe schabte, liegen schon länger hinter uns. Aktuell ist eine hohe Medienwelle über das allgemeine Insektensterben zu verzeichnen, es erscheinen laufend Artikel und Bücher zum Thema (ganz neu 2021: [Far&al.21]). Selbst die Bundesregierung hat sich der Sachlage angenommen, jedenfalls marginal und sonst auch rhetorisch. Eine niederländische Theatergruppe hat sogar eine Inszenierung erarbeitet, die Wagners Ring in 90 Minuten packt und deren Darsteller Insekten- und Gliederfüßer-Marionetten sind [NB&HM] – die Insektendämmerung.

   Die große Medienwelle dürfte aller Erfahrung nach allerdings bald wieder abebben, nicht aber der Insektenschwund an sich. Er ist der objektive Maßstab für den anhaltend exponentiell beschleunigten Niedergang unserer Landschaft. Konnte eine Waldwanderung vormals noch „langweiliger” wirken als eine solche durch die Feld- und Wiesenflur, so ist es heute oft umgekehrt. Der Wald ist eine letzte Oase zwischen einer extrem verarmten und vielerorts nahezu toten Agrar- und Kultursteppe, die den Natur(schutz)konkurs kennzeichnet.

Der ursprüngliche Naturschutz war anfangs noch sinnlicher motiviert, nicht wie heute über bio-statistische Zahlen, Rote-Liste-Indizes usw., die, wie es K. H. Hülbusch [Hülb.] ausdrückte, als Norm, als fixe Zahl uns enteignen, uns unsere Geschichte entziehen. Mit ganz sinnlichem, echtem Motiv entstand 1907 auch das erste Naturschutzgebiet Hessens und damit zweite Deutschlands, nämlich auf Betreiben des Malers Theodor Rocholl hin: der "Urwald Sababurg" im Reinhardswald. Rocholls Interesse galt nicht Flora und Fauna oder biologischen Zusammenhängen, sondern dem unmittelbar erlebbaren übergeordneten Ganzen. Es ging ihm, wie auch dem damals erst aufkeimenden Naturschutz allgemein, vor allem um das Bild der Landschaft, also wirklich um uns. Im Reinhardswald blickte dabei Rocholl neben den halbwilden Beberbecker Pferden vor allem auf die imposante Eichenkulisse samt ihrer imaginativen Götter- und Dämonenwelt. „Die Fabelwesen wenden sich nicht an unser gelehrtes Wissen”, wie Arnold Böcklin sagte [P&G], sondern sie sind Metaphern unseres instinktiven, mystischen und spirituellen Landschaftserlebens. Sie waren so für uns die längste Zeit Gebieter von Ehrfurcht und damit Sicherung gegen Dekadenz und Hochmut. Das Landschaftsbild als umfassendes Schutzziel wird im modernen Naturschutz längst immer seltener formuliert und gerät sukzessive ins Hintertreffen. Noch Rocholl aber hatte gar nicht bewusst realisieren müssen, dass er mit dem Bild unserer geliebten Eichen und des „Urwalds” ganz nebenbei den Artenschutz sicherte, beispielsweise für Insekten, die von Totholz leben, oder Bilche, Fledermäuse und Vögel, die Baumhöhlen bewohnen.


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