"Was der Wald uns singt"
Anmerkungen zu einigen Filmkapiteln und zitierten Werken
- Goethe: Von deutscher Baukunst
Goethe widmet diese Schrift der Fassade des Straßburger Münsters und damit vor allem dem Architekten Erwin von Steinbach, den er als wahres Genie anerkennt, das echte Kunst schaffen kann, denn seine Kunst kommt der Natur nahe. Natürlich hatte Goethe noch keinen Antoni Gaudí kennen können.
Was aber hätte dann Goethe, hätte er hundert Jahre später gelebt, zum Beispiel über das Bauhaus gesagt oder erst recht über den Brutalismus? Im Film werden jedenfalls Goethes Worte anhand der unterlegten Filmbilder gewürdigt. Die angehängte Bildergalerie will das mit ähnlichen Bildern in etwa nachzeichnen.
Einen ähnlichen Standpunkt nimmt auch Bėla Bartók mit dem gleich darauf folgenden Musikbeispiel ein:
- Bartók: Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta
Bartók selbst schreibt über seine Musik: "We follow nature in composition," so berichten es uns Beutelspacher & Petri (1996) [Beu96], gestützt auf Lendvai (1966) [Len.66]. Bartóks im Film genanntes Werk wird von Lendvai (1995) [Len.95] noch besonders herausgehoben, als "das vielleicht schönste Beispiel einer musikalischen Darstellung der Fibonacci-Reihe*". Weiter zitiert er Bartók: "Volksmusik ist eine Naturerscheinung... Ihre Formen haben sich mit derselben organischen Freiheit entfaltet, wie es andere lebende Organismen tun, die Blumen, die Bäume..."
* Lendvai meint den ersten Satz des Stücks. – Die Fibonacci-Zahlenreihe beginnt mit 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13. Weitere Reihenglieder erhält man jeweils durch Addition der beiden letzten, somit ist das nächste 8+13=21. Dividiert man irgend ein Glied durch sein vorangehendes, ergibt sich ungefähr 1,6. Je höher die dividierten Reihenglieder sind, desto exakter ergibt sich die Zahl ɸ = 1,61803..., der Goldene Schnitt. Er ist eine Schlüsselzahl der Natur und ist Schlüsselzahl für Natürlichkeit, er ist in gewisser Weise die krummste Zahl der Welt. Für Beispiele und Tieferes sei neben [Beu96] auf das reichhaltige Internet verwiesen.
- Tacitus: Germania
Cornelius Tacitus schrieb generell in einem schwer übersetzbaren, sehr künstlerischen Latein. Von da könnte das häufige Missverständnis herrühren, er hätte mit der Germania das Germanenland herabwürdigen wollen. Vielmehr aber blickte er vor dem Hintergrund des degenerierenden Rom mit Wehmut dorthin, wo Dekadenz und Korruption noch nicht zu vermuten waren. Arno Mauersberger [Mauersb.] spricht sogar von fast schwermütiger Liebe und einer besseren eigenen Welt:
"Was uns beim Lesen der »Germania« so eigenartig ergreift, das ist die fast schwermütige Liebe, mit der derselbe Tacitus den Vorzügen der Germanen gerecht wird, der ihre Schwächen mit einer aus Sorge, Verbitterung und verzweifelndem Verzicht geborenen Genugtuung verzeichnet: in den Vorzügen der Germanen lebt ... der ganz der Größe des alten Rom zugewandte Tacitus wie in einer besseren eigenen Welt. Es ist die besondere Paradoxie der »Germania« und ihr geheimster Reiz, daß der Verfasser, der ... von dem gefährlichsten Feind reden will, dessen Vorzüge durch unvergleichliche Einfühlung und durch alle Kraft seiner künstlerischen Sprache adelt." – Da haben sich bis heute einige Voraussetzungen wohl geändert.
Mit seiner Randnote über schaurige Wälder und abscheuliche Moore stellte Tacitus keineswegs in Abrede, dass die Römer das ganze Germanenland in diesem Sinn den »silva nigra« nannten, Schwarzen Wald. Der Film unterlegt das Kapitel mit passender Musik und mit passenden Bildern, die auch fast 2000 Jahre später im Reinhardswald gefunden werden können.
- Max Ernst:
Der Wald stellt in Ernsts Gesamtwerk, neben dem Vogel, das wesentliche Leitmotiv dar. Wie Heribert Becker sagt [Becker], erscheint der Wald hier "teils als dunkle, bedrohliche Macht", andererseits aber gerade auch "als Versinnbildlichung ursprünglicher, ungezähmter Natur als Gegenpol zur Künstlichkeit und Dekadenz des domestizierten und doch so destruktiven Zivilisationsmenschen".
- Caspar David Friedrich (CDF):
Bei dem am Schluss der Galerie Bluthochzeit gezeigten Bild fällt auf, dass 200 Jahre früher, 1811, CDF ein fast genau spiegelbildliches Motiv malte: Landschaft mit Eichen und Jäger (im Internet leicht zu finden). Die Ähnlichkeit der Motive in ihrem Aufbau, inklusive der trockenen Eichen, ist geradezu umwerfend. Hatte CDF etwa eine Zeitreise in den Reinhardswald unternommen? Wahrscheinlicher scheint wohl, dass er das Phänomen der trockenen Eichen längst kannte. Denn Eichen sterben ja aufrecht.
Man vergleiche diese Ansicht mit Caspar David Friedrichs Landschaft mit Eichen und Jäger. |
Nicht ganz vollständige Liste der in Was der Wald uns singt zitierten Werke
Zeitangaben ungefähr, Bildwerke in eckigen Klammern
00:30:00
Zit. Toru Takemitsu: "Sobald ich von Bäumen umgeben bin…"
00:01:45
Zit. Richard Wagner: "Wie nun aber der Besucher des Waldes..."
00:02:25
CDF: [der Morgen]
00:02:50
Maurice Ravel: Ma Mère i'Oye
00:03:30
Zit. Arnold Böcklin: "Die Fabelwesen wenden sich nicht an…
00:03:45
Leoš Janśček: Das schlaue Füchslein
00:07:20
Zit. William Shakespeare: Wie es euch gefällt
00:08:00
Hans Werner Henze: Sinfonie Nr. 4
00:08:30
Zit. Max Ernst: Biografische Notizen: "Gibt's dort noch Wälder?...
00:09:00
Jean Sibelius: Tapiola
00:09:50
Plinius [d. Ä.]: "Der Leichnam auf einem Baumstamm Gott hingeboten…
00:10:42
Gioacino Rossini: "Wilhelm Tell: Aus der Tiefe…
00:11:00
Konrad Ferdinand Meyer: Jetzt rede du!
00:12:00
Richard Wagner: Siegfried
00:13:25
Zit. Richard Wagner: Siegfried, Waldweben: "Du holdes Vöglein…"
00:13:50
Judith Weir: Blond Eckbert
00:14:45
Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel
00:16:20
Zit. Carl Maria v. Weber: Der Freischütz, Jägerchor
00:16:45
Siegfried Wagner: Banadietrich
00:18:50
Michael Tippett: The Midsummer Marriage
00:19:10
Zit. Johann W. v. Goethe: Von deutscher Baukunst
00:21:40
M. K. Čiurlionis: [Andante]
00:21:45
Bėla Bartők: Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta
00:22:50
M. K. Čiurlionis: [Litauischer Friedhof]
00:23:00
Zit. Dante Alighieri: Divina commedia: "Es war inmitten…"
00:23:18
Anselm Kiefer: [Wege der Weltweisheit, die Herrmannsschlacht]
00:23:24
Anselm Kiefer: [Wege der Weltweisheit, Varus]
00:23:40
Arnold Schönberg: Erwartung
00:26:35
Bernard Herrmann: Vertigo
00:26:50
Zit. Adam Misciewicz: "Drunten jedoch wie Ruinen von Städten…
00:29:45
Zit. Siegmund Freud: "Es wird ja keineswegs allgemein geglaubt...
00:30:00
Charles Koechlin: La Course de Printemps
00:31:05
Zit. Hans Pfitzner: Die Rose vom Liebesgarten: "Waldes Rauschen…"
00:31:30
Hans Pfitzner: Die Rose vom Liebesgarten
00:33:45
Sibelius: Pohjolas Tochter
00:34:05
Tacitus: Germania: "Das Land ist im Ganzen schaurig…"
00:35:30
Toru Takemitsu: My Way of Life
00:36:00
Villa-Lobos: Amazonas
00:40:00
Zit. Max Ernst: Biografische Notizen: Was ist ein Wald
00:40:40
Arnold Bax: November Woods
00:41:30
John Keats: "…die Tage sind verhallt, ihre Stunden grau und alt…"
00:43:55
Zit. Joseph v. Eichenforff: Waldgespräch
00:44:15
Carl Maria v. Weber: Der Freischütz
00:45:20
CDF [Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer]
00:45:30
Zit. Rene Magritte: "Wir sehen,... als wären wir außerhalb unserer selbst…"
00:45:45
[CDF] [Der Abend]
00:46:00
[CDF] [Gedächtnisbild für Johann Emanuel Bremer]
00:46:25
Albrecht Altdorfer: [Donaulandschaft mit Schloss Wörth]
00:47:00
Wolfgang Fortner: Bluthochzeit
00:48:00
Hans Werner Henze: Sinfonie Nr. 9
00:48:45
Gustav Mahler /Luciano Berio: Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald
00:50:00
Arne Nordheim: Wirklicher Wald
00:52:40
Henri David Thoreau: ?
00:53:00
M. K. Čiurlionis: Im Wald
00:55:00
Hildegard v. Bingen: O vos felices radices
00:57:30
Toru Takemitsu: Treeline
00:57:45
Zit. Novalis: Es färbte sich die Wiese grün